Dieser Knall kann nichts Gutes bedeuten, das ist allen sofort klar. Dieses Abenteuer stand unter keinem gutem Stern von dem Moment an als wir Antigua verlassen. Oder mit anderen Worten: Willkommen im lateinamerikanischen Alltag. 5 Minuten zuvor quetschen wir uns mit 13 anderen Backpackern in einen Minibus Richtung Norden, voller Vorfreude auf einen außergewöhnlichen Ort von dem uns nur 8 Stunden Fahrt trennen, kein Problem also. Jetzt kriechen wir mit Tempo 30 die Landstraße entlang, nach einer Dreiviertelstunde und 4km Strecke ist Schluss. Unsere Hinterachse wird zerlegt, Kleinteile werden von Hand an einer Kreissäge abgeschliffen und schlussendlich wird alles nochmal mit dem großen Hammer bearbeitet. 2 Stunden später geht’s weiter, als wir unseren Bestimmungsort erreichen sind 12 Stunden vergangen. Alltag eben.
Unser Ziel ist das verschlafene Backpacker-Nest Lanquin im Dschungel Guatemalas, der Ausgangspunkt für Touren in das Naturschutzgebiet Semuc Champey. Lanqin hat außer Hostels nicht viel zu bieten, daher wir entscheiden uns für eine Lodge eine Stunde außerhalb mit dem verheißungsvollen Namen: Utopia.
Willkommen in Utopia
Ein großes, offenes Holzhaus umgeben von unergründlichem Dschungel. Als wir dort spätabends ankommen erwartet uns eine unglaubliche Atmosphäre, alles ist in warmes Licht getüncht, Besucher aus aller Welt sitzen an langen Holztischen beim Abendessen. An der Bar hängen Schaukeln statt Hocker, es gibt Live Musik, absolute Harmonie. Bei dieser besonderen Atmosphäre erwarten wir jeden Moment pinke Einhörner die durchs Bild galoppieren…ein Gefühl wie in einer anderen Welt, Utopia eben. Definitiv ein Ort an dem man hängen bleiben kann, manche hier sind seit Wochen da, ein junger Franzose der den ganzen Tag in einem Dittsche-Bademantel rumläuft schon über ein Jahr. Er hat seinen Pass verloren und erweckt nicht den Eindruck als würde er irgendwann in naher Zukunft einen neuen benötigen…
Der eigentliche Grund unseres Trips ist aber das Naturschutzgebiet Semuc Champey. Wasserfälle, Höhlen, türkisgrüne Wasserbecken, ein riesiger Spielplatz made by nature.
Zuerst geht es nur mit Kerzen bewaffnet in eine Höhle. Unser Guide verpasst uns noch die entsprechende Kriegsbemalung und dann arbeiten wir uns kletternd und schwimmend immer tiefer ins Höhleninnere vor. An einem Seil klettern wir im Dunkeln einen Wasserfall hoch. Mein Knie erinnert mich noch Monate später an den Spaß, aber no pain, no gain.
Ausgestattet mit einer gehörigen Portion Adrenalin vom Höhlentrip beschließt Michi euphorisch aus 10 Metern von einer schwingenden Schaukel in den Fluss zu springen als sich sonst niemand traut. Nach einer haltungstechnisch zumindest fragwürdigen Flugphase gibt es klaren Punktabzug für die Landung mit dem Kinn voraus. Danach will definitv kein Anderer mehr springen, auch hat er noch mehrere Tage eine blaulila Erinnerung an dieses Erlebnis, aber no pain…you get the picture. Anschließend folgt die „Hauptattraktion“ die uns und alle anderen hierher gebracht hat, die türkisfarbenen Wasserbecken von Semuc Champey. Das Bad in den kleinen Wasserfällen ist erfrischend, aber wie das so ist mit Attraktionen, die Magie des Ortes geht in der Menge der Menschen etwas verloren.
Etwas unerwartet ist dann der Heimweg in die Lodge via „tubing“. Es soll eines unserer schönsten Erlebnisse überhaupt werden. In großen Gummireifen treiben wir den Fluss hinunter, Michi und unser Aussie-Freund Curtis lassen sich vom ebenso minderjährigen wie geschäftstüchtigen Getränkeverkäufer „Ronaldo“ noch eine Dose Bier von der Brücke zuwerfen und so treiben wir in unseren Schwimmreifen durch die unberührte Natur Guatemalas. Es ist absolut still bis auf die Geräusche des Waldes und das Rauschen der Stromschnellen über die wir ab und zu hinweggleiten. Was kann man sich mehr wünschen…
Der Weg nach Flores
Pünktlich zur Happy Hour sind wir wieder in Utopia. Auch die lokale Polizei hat sich mit ganzen fünf (!!!) Ordnungshütern eingefunden um dem Lodge-Besitzer eine Mitteilung zu überbringen und die Gelegenheit für ein kühles Happy Hour-Bierchen zu nutzen. Manch kiffender Hippie schaut mal kurz erschrocken auf und unser passloser Franzose verschwindet auch ganz schnell. Wir machen uns eher über die Arbeitsmoral der mittelamerikanischen Polizei lustig. Später erfahren wir den Grund der Mitteilung: Aufgrund von Protesten bezüglich der anstehenden Wahlen kommt es in den nächsten Tagen zu landesweiten Straßensperren. Der Vizepräsident wurde wegen diverser Korruptionsskandale verhaftet und es kam ans Licht das eine in den Umfragen führende Partei von einem Drogenkartell finanziert wird. So weit, so normal, aber ein denkbar schlechter Zeitpunkt für unsere Pläne zur Weiterreise…
Wir verweilen noch einen Tag länger, dann zieht es uns schweren Herzens und trotz Chaos auf den Straßen weiter: Statt 6h Stunden von Lanquin direkt nach Flores im Norden zu fahren, wollen wir Richtung Westen zum Fluß Rio Dulce, dann per Boot nach Livingston an der Atlantikküste. Dort die Nacht verbringen, am nächsten Morgen ein Boot chartern um die Seegrenze zu Belize zu überqueren, von Süden mit dem Chicken bus durch halb Belize tuckern und im Norden rechtzeitig vor Einbruch der Nacht wieder die Grenze nach Guatemala passieren um dann erneut per Bus bis hoffentlich nach Flores zu kommen.
Notsituationen schweissen ja bekanntlich zusammen, und so ergibt sich spontan eine kleine Reisegruppe. Jaime und Selim aus Kanada arbeiten beide für die UN in Haiti, Zofia aus der Tschechei, aber mittlerweile in London lebend & 5 bekiffte Israeli Teens bilden eine lustige Zweckgemeinschaft. In Livingston unterhalten wir uns so gut, dass Michi seinen Handgepäcksrucksack mit Pass, Kamera und Laptop in einer Bar stehen lässt. Das Glück ist mit den Dummen…als wir es eine Stunde später bemerken und er im strömenden Regen zurückrennt ist das Ding tatsächlich noch da. Die Nacht in Livingston verbringen wir mit Zofia und dem nassen Hund der Hostelbesitzerin, der es sich unter meinem Bett gemütlich gemacht hat in einem Dorm. Draußen tobt ein Jahrhundertsturm aber pünktlich um 7 Uhr hört es auf zu regnen und am Bootsteg holt Zofia ihre Mini Frenchpress aus dem Rucksack für einen frischen Kaffee.
48h statt 6h Reisezeit inkl. 2 Grenzüberquerungen, zwei Bootsfahrten, 1 Fast-Herzinfarkt mit happy end und unendlich viel Spaß. Willkommen in unserem lateinamerikanischen Alltag.
Hinkommen
In Guatemala empfehlen wir Minivan Shuttlebusse die im ganzen Land verkehren. Etwas teurer als die Chickenbusse aber sicher und meist sehr zuverlässig. Immer etwas mehr Zeit einplanen 😉 z.B. von Antigua nach Lanquin, ca. 8h ab 160 Quetzales (ca. 19,- €)
Rumkommen
In Lanquin holen die Hostels einen mit dem Pick Up direkt vom Shuttle ab. Wer noch keine Unterkunft hat, wird bei Ankunft von mehreren „Hostelvermittlern“ umworben.
Grenzübergang Guatemala – Belize auf dem Wasserweg
Zunächst 3h mit dem Boot auf dem Rio Dulce nach Livingston. Landschaftlich eine äusserst schöne Route, kann man auch einfach so machen. Wichtig: 5 Minuten vom Dock, in der „Hauptstrasse“ ist die Immigration, unbedingt vorbeigehen und den Ausreisestempel abholen. Hier die Grenze zu passieren ist teurer als auf dem Landweg! Ausreisegebühr sind 80 Quetzales (ca. 9,50 €). Morgens um 7 Uhr geht dann das 1 stündige Boot nach Belize (200 Quetzales/23,50€). Dort Einreise am südlichsten Punkt des Landes in Punta Gorda und vom lokalen Busterminal Weiterfahrt mit Lokalbus.
Diese Grenzüberquerung ist sicherlich die zeit- und kostenintensivste, aber auch etwas ganz Besonderes!
Unterkommen
Semuc Champey: Utopia, alternative Dschungellodge mit vegetarischem Essen. Gut organisiert, sehr schöne internationale Atmosphäre, unterschiedliche Übernachtungskategorien.
Things to do
In Lanquin die klassische Tour mit Höhlenwanderung und Wasserfällen buchen, lohnt sich wirklich. Als Bonus wird Rivertubing angeboten, unbedingt mitnehmen.
TIPP
Lanquin selber ist noch 40 Minuten mit dem Auto vom Naturschutzgebiet entfernt. Das Utopia oder eines der anderen Hostels in der Nähe sind schon direkt am Rio Cahabon und man kann die Gegend zu Fuß auf eigene Faust erkunden. Unbedingt sich den Weg zum Secret Waterfall erklären lassen und von den Kids am Fluss zeigen lassen wo man reinspringen kann.
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